Vorratsdatenspeicherung = NSA?

Zitat

Das war ja abzusehen. Die Vorratsdatenspeicherung, die die Große Koalition einführen will, wird mit der NSA-Affäre in einen Topf geworfen:

“Aus den Erfahrungen des massiven Ausspäh- und Geheimdienstskandals, den die westlichen Demokratien derzeit erleben, haben Union und SPD nichts gelernt”

kommentiert der Grüne Konstantin von Notz. Gut, der Zitatgeber muss sich als Vertreter der kleinsten Oppositionspartei im Bundestag profilieren. Auch Wissenschaftler, z.B. der Informatikprofessor Fritz Freiling, sehen einen Zusammenhang.

Ich kann ihn beim besten Willen nicht sehen.
Und insofern ärgere ich mich darüber, dass eine so weitreichende Fehlentwicklung wie die jahrelange Massendatenspeicherung durch NSA, GCHQ und Co. mit einer EU-Richtlinie verglichen wird.

Nein, ich bin kein Freund der monatelangen Speicherung von Internet- und Telefonverbindungsdaten, vor allem, weil das Ziel, Kriminelle schneller zu greifen, offenbar nicht erreicht wird. Aber dennoch ist NSA=Äpfel, Vorratsdatenspeicherung=Birnen.

1) Die Vorratsdatenspeicherung speichert nur Verbindungsdaten. Klar: Die Identifikation ist recht detailliert, wenn Uhrzeit, Angerufene oder angesurfte Webseite, Ort oder IMEI-Nummer des Handys gespeichert werden. Der Inhalt des Gesprächs, der Email oder der Whatsappnachricht wird aber nicht gespeichert. Anders als bei NSA und GCHQ. Der Begriff “Gläserner Bürger”, der im Zusammenhang mit der VDS benutzt wird, passt also nur im Blick auf das Tun der Geheimdienste – oder freilich der Bürger selbst, wenn sie ihre Daten ungefiltert ins Netz stellen.

2) Die Daten werden auf deutschen Servern gespeichert, die als relativ sicher gelten, und die Daten unterliegen den (trotz VDS recht verbraucherfreundlichen) deutschen Datenschutzregeln.

3) Ein deutsches Gericht muss die Sichtung der gespeicherten Daten anordnen. Wer nun sagt: “Die NSA braucht auch eine richterliche Erlaubnis”, verkennt die Lage: Das zuständige US-Gericht hat seit seiner Gründung nur 11 von 34.000 Anfragen der NSA abgelehnt.

4) … ist der zentrale Grund, warum Vorratsdatenspeicherung rein gar nichts mit dem zu tun hat, was die Geheimdienste tun: Wir wissen davon. Wir können im Koalitionsvertrag, in der EU-Richtlinie und bald wohl auch im Gesetz zur Umsetzung der VDS nachlesen, dass und wie unsere Daten gespeichert werden. Die Geheimdienste hingegen arbeiteten und arbeiten im Dunkeln, jenseits des Gesetzes, wie es scheint, ohne effektive staatliche Kontrolle und ohne, dass wir Internet- und Telefonnutzer informiert wurden.

Bleibt die Frage, wie die Regierung (so sie denn überhaupt zustande kommt) die EU-Richtlinie genau umsetzt, damit sie nicht wie anno 2010 vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird. Letzlich könnte es auch sein, dass die ganze EU-Richtlinie kassiert wird. Dann nämlich, wenn der europäische Gerichtshof im Frühjahr entscheidet, ob die VDS gegen Menschenrechte verstößt.
Fehlen würde sie mir nicht.

We didn’t start the fire.

Wer das an die Öffentlichkeit gebrachte Papier über die Ziele der NSA in den Jahren 2012-2016 liest, das die NY Times gestern veröffentlicht hat (Original hier) könnte für den machtvollsten Geheimdienst der Welt Mitleid empfinden. Die Gesetze, die das freie Schalten und Walten der NSA behindern, wären nicht auf der Höhe der Zeit, so kann man das Papier lesen, sonst würden sie die NSA nicht bei der Erfüllung ihrer Aufgaben stören.

“Die Interpretation der Richtlinien durch die Behörden und zum Teil die Behörden selbst haben mit der technischen Komplexität, den Zielen und den Erwartungen an die NSA nicht Schritt gehalten”.

Weiters beklagt sich die NSA über die allgegenwärtige Verschlüsselung. So heißt es laut einer Zusammenfassung von SpoN, dass man

  • sich “gegen die allgegenwärtige, starke kommerzielle Verschlüsselung von Netzwerken zur Wehr setzen muss”,

  • “den globalen, kommerziellen Markt für Kryptografie durch wirtschaftliche Verbindungen, Spionage und über externe Partner beeinflussen muss”,

  • “weiter in die industrielle Basis investieren und die Entwicklung von Hochleistungscomputern vorantreiben muss, um die hervorragenden kryptoanalytischen Fähigkeiten der Nation aufrechtzuerhalten”.

Die Gesetze und die Verschlüsselungstechniken im Internet sind der NSA also im Weg.
Deutlicher kann seine Abscheu gegen die Werte der westlichen Welt nicht zum Ausdruck bringen.

Ein bisschen Selbstkritik: Ich mag mich in den vergangenen Monaten in die Geheimdienstaffäre hinein gesteigert haben, vielleicht ist meine Flucht aus Google und Co. (Prism Break I 615-544-5744 , Kalender, Dropbox” href=”http://spaehgypten.de/?p=197″ target=”_blank”>II III IV) übertrieben, und ja: vielleicht könnte ich mir einen Schubs geben und die Affäre mit dem Fatalismus betrachten, dem die meisten meiner Mitmenschen anhängen.
Doch: Die Front zwischen dem US-Geheimdienst und uns Bürgern zieht die NSA, nicht wir mehr oder weniger Erzürnten. Wir haben den Krieg nicht begonnen.

Wenn die Politik und die zu unserem Wohl erlassenen Gesetze, die unsere Freiheit bewahren sollen (und das – siehe den Status Quo – nicht einmal einwandfrei können), wenn diese Gesetze also von der NSA nicht nur still missachtet, sondern auch deutlich kritisiert werden, dann sind wir Bürger der Gegner der NSA. Wir deutschen Bürger, wir US-Bürger, wir britischen Bürger: Alle Bürger, die von ihrem Staat Schutz erwarten gegen den Zugriff fremder Mächte.
Wenn Verschlüsselung, die uns Schutz vor diesem fremden Zugriff bieten soll, zum Feind stilisiert wird, werden wir Schutzbedürftigen auf die andere Seite gestellt.
Hier wir, dort die, denkt die NSA, mit einer unerschütterlichen Sicherheit, das Richtige zu tun. Doch das tut sie nicht.

Abhörprotokolle veröffentlicht

http://www.waldprotokolle.florianmehnert.de/Gespräche, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, mitgeschnitten – einem Journalisten würde das entweder den Henri-Nannen-Preis einbringen oder das Genick brechen, aber die Kunst darf alles. Also hing der Künstler Florian Mehnert Mikros in den Wald und schnitt die Gespräche, die darunter geführt wurden mit – nachzuhören auf seiner Homepage, beschrieben in der SZ.